Dieter Intas
2020-08-15 05:40:15 UTC
https://www.heise.de/tp/features/Wie-schlimm-ist-Covid-wirklich-4868723.html
Wie schlimm ist Covid wirklich?
13. August 2020
Sebastian Rushworth
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Sebastian Rushworth mit Gasmaske: "In vielen
schwedischen Krankenhäusern verwenden wir Gasmasken
statt N95-Masken."
Die Sicht eines schwedischen Arztes auf Covid-19
Ich bin praktizierender Arzt in Stockholm. Jeden Tag
stellen mir Patienten Fragen zu Gesundheit, Diäten,
Bewegung, Ergänzungsstoffen, Medikation. Es gibt sehr
viel Fehlinformation im Internet, es ist leicht, den falschen
Rat zu erhalten, und schwer zu sagen, was richtig und was
falsch ist, wenn man nicht vertiefte wissenschaftliche
Kenntnisse hat. Die Aufgabe meines Blogs
Wissenschaftlich fundierte Informationen zu Gesundheit
und Medizin (Health and medical information grounded in
science) ist es, mitzuteilen, was die Wissenschaft wirklich
sagt.
Ulf Martin hat die beiden Artikel von Sebastion Rushorth
"Wie schlimm ist Covid wirklich?" vom 4. August und
"Wie bestimmt man Covid-Immunität am besten? vom 8.
August zusammengefasst und übersetzt. Telepolis
veröffentlicht den Beitrag, um zu einer vorurteilsfreien
Diskussion beizutragen.
Wie schlimm ist Covid wirklich?
Ich schicke voraus, dass ich als Bürger in Schweden lebe,
dass das Folgende rein anekdotisch ist und auf meiner
Erfahrung als Arzt in der Notfallaufnahme eines großen
Krankenhauses in Stockholm beruht. Wie viele Leser
wissen, nimmt Schweden von allen Ländern vielleicht die
entspannteste Haltung zur Covid-Pandemie ein. Im
Gegensatz zu anderen Ländern ging Schweden nie in einen
vollständigen Lockdown. Nichtlebenswichtige Geschäfte
blieben geöffnet, die Leute sind weiter in Cafés und
Restaurants gegangen, die Kinder weiter zur Schule, und
nur sehr wenig Leute haben sich in der Öffentlichkeit mit
Gesichtsmasken rumgeärgert.
Covid hat Stockholm Mitte März wie ein Sturm erwischt.
An einem Tag habe ich Leute mit Blinddarmentzündung
und Nierensteinen gesehen, die üblichen Fälle in einer
Notaufnahme. Am nächsten Tag waren alle diese Patienten
verschwunden und die einzigen, die ins Krankenhaus
kamen, hatten Covid. Praktisch jeder, der getestet wurde,
hatte Covid, egal was für ein Symptom sichtbar war.
Jemand kam mit Nasenbluten und hatte Covid. Ein anderer
kam mit Bauchschmerzen und hatte Covid.
Dann, nach einigen Monaten, waren all die Covidpatienten
verschwunden. Jetzt sind es vier Monate nach dem Beginn
der Pandemie und ich habe seit einem Monat nicht einen
einzigen Covidpatienten mehr gesehen. Wenn ich
jemanden teste, weil er hustet oder Fieber hat, dann kommt
der Test immer negativ zurück.
Auf dem Höhepunkt vor drei Monaten starben am Tag
hundert Menschen an Covid, in einem Land mit zehn
Millionen Einwohnern. Wir sind nun bei ungefähr fünf
Verstorbenen am Tag im ganzen Land und diese Zahl fällt
weiter. Weil Menschen im allgemeinen drei Wochen nach
einer Ansteckung versterben, bedeutet das, dass praktisch
niemand mehr angesteckt wird. Wenn wir annehmen, dass
ungefähr 0,5 Prozent der Angesteckten sterben (eine sehr
großzügige Annahme, mehr dazu unten), dann heißt das,
dass vor drei Wochen tausend Menschen angesteckt
wurden, einer von zehntausend, eine verschwindend
geringe Zahl. Man bedenke, das Risiko zu sterben, beträgt
1 zu 200, wenn man wirklich angesteckt wird. Und das war
vor drei Wochen. Im Wesentlichen ist es mit Covid in
Schweden aus und vorbei. Nach vier Monaten.
Insgesamt hat Covid weniger als 6000 Menschenleben
gekostet, in einem Land mit zehn Millionen Einwohnern,
einem Land, in dem jährlich 100.000 Menschen sterben.
Bedenkt man, dass 70% der an Covid Verstorbenen über 80
Jahre alt waren, dann wären viele der 6000 in diesem Jahr
sowieso gestorben. Das macht Covid zu einer kleinen
Beule in seinem Effekt auf die Jahressterblichkeit.
Aus diesem Grund ist es unsinnig Covid mit anderen
großen Pandemien wie der Spanischen Grippe von 1918 zu
vergleichen. Damals starben mehrere zehn Millionen
Menschen. Covid wird nie auch nur in die Nähe solcher
Zahlen kommen. Und dennoch haben Länder ihre gesamte
Wirtschaft heruntergefahren, die Kinder nicht mehr in die
Schule geschickt und einen großen Anteil der Bevölkerung
arbeitslos gemacht, um mit dieser Pandemie umzugehen.
Die Medien haben verlautbart, dass nur ein geringer
Prozentsatz der Bevölkerung Antikörper habe und es daher
unmöglich sei, dass sich Herdenimmunität entwickelt habe.
Nun, wenn sich keine Herdenimmunität entwickelt hat, wo
sind dann all die kranken Menschen? Warum ist die
Ansteckungsrate so steil nach unten gegangen? In
Anbetracht der Tatsache, dass die meisten Leute in
Schweden inzwischen wieder normal leben, kein Social-
Distancing praktizieren, keine Masken tragen, müsste es
immer noch hohe Ansteckungsraten geben.
Wir machen Antikörpertests, weil es einfach und günstig
ist. Antikörper sind allerdings nicht die Hauptabwehr des
Körpers gegen Virusinfektionen. Das sind die T-Zellen.
Jedoch sind T-Zellen schwieriger zu messen als Antikörper,
weswegen wir das klinisch selten machen. Es ist ziemlich
gut möglich, T-Zellen zu haben, die spezifisch für Covid
sind und einen daher immun machen, ohne dass man
Antikörper hat. Persönlich denke ich, ist es das, was
passiert ist.
Jeder, der in meiner Notfallaufnahme hier arbeitet, hat
einen Antikörpertest gemacht. Sehr wenige haben
tatsächlich Antikörper, obwohl wir einer riesigen Zahl von
Infizierten ausgesetzt waren. Und am Anfang der Pandemie
trug noch niemand Schutzausrüstung, bevor wir bemerkt
haben, wie verbreitet Covid ist.
Ich bestreite nicht, dass Covid schlimm für diejenigen ist,
die schwer daran erkranken, oder für die Familien der
Verstorbenen. Genauso, wie es schlimm ist für Familien
von an Krebs, Influenza oder Rauschgiftüberdosis
Verstorbenen. Aber die Größe der Reaktion in den meisten
Gegenden der Welt außerhalb von Schweden steht in einem
totalen Missverhältnis zur Größe der Gefahr.
Schweden hat, metaphorisch gesprochen, das Heftpflaster
schnell abgerissen und ist mit der Pandemie in kurzer Zeit
fertig geworden, während der Rest der Welt sich
entschieden hat, das Heftpflaster langsam wegzupulen.
Gegenwärtig heißt das, dass Schweden eine der höchsten
Sterblichkeitsraten der Welt hat. Aber Covid ist in
Schweden vorbei. Die Leute sind zu ihrem normalen Leben
zurückgekehrt und kaum noch jemand wird angesteckt.
Ich bin bereit zu wetten, dass Länder, die einen
vollständigen Shutdown gemacht haben, sehen werden,
dass die Sterberaten hochschießen, wenn sie wieder
aufmachen. Wenn das der Fall ist, dann ergibt es keinen
Sinn, einen Shutdown zu machen, weil man am Ende mit
derselben Zahl von Verstorbenen dasteht. Der vollständige
Shutdown ergibt nur Sinn, wenn man bereit ist, diesen
beizubehalten, bis ein Impfstoff verfügbar ist. Das kann
Jahre dauern. Kein Land ist bereit, so lange zu warten.
Covid hat gegenwärtig weniger als 6000 Opfer gekostet. Es
ist sehr unwahrscheinlich, dass die Zahl über 7000
ansteigen wird. In einem durchschnittlichen Influenzajahr
sterben in Schweden 700 Menschen an ihr. Heißt das,
Covid ist zehnmal schlimmer als Influenza? Nein, denn
Influenza gibt es seit Jahrhunderten, Covid ist vollkommen
neu. In einem durchschnittlichen Influenzajahr haben die
meisten Menschen schon eine gewisse Immunität, weil sie
früher schon mal mit einem ähnlichen Stamm angesteckt
oder weil sie geimpft waren. Es ist daher ohne weiteres
möglich, sogar wahrscheinlich, dass die Fallsterblichkeit
von Covid die gleiche wie für Influenza ist, oder ein wenig
höher, und dass der Unterschied, den wir sehen, auf das
vollständige Fehlen einer Immunität in der Bevölkerung am
Beginn der Pandemie zurückgeht.
Diese Schlussfolgerung erklärt die schwedische
Sterblichkeitsziffer. Wenn wir den Punkt erreicht haben,
bei dem es praktisch keine aktive Infektion mehr in
Schweden gibt, obwohl praktisch kein Social-Distancing
mehr stattfindet, dann haben sich wenigstens 50% der
Bevölkerung schon angesteckt und eine Immunität
entwickelt, fünf Millionen Menschen. Das ist ein plausibler
Wert, wenn wir annehmen, dass die Reproduktionszahl für
das Virus zwei ist: Wenn jeder Infizierte zwei ansteckt,
zwischen den Ansteckungen fünf Tage liegen und wir mit
einem Infizierten im Land beginnen, dann erreicht man
mehrere Millionen in nur vier Monaten. Wenn nur 6000
von fünf Millionen verstorben sind, dann ergibt das eine
Infektionssterblichkeit von 0,12%, in etwa dieselbe wie bei
der normalen Influenza, vor der niemand auch nur ein
bisschen Angst hat, geschweige denn, dass wir unsere
Gesellschaft deswegen lahm legen.
Wie bestimmt man Covid-Immunität am besten?
In "Wie schlimm ist Covid wirklich?" habe ich
geschrieben, dass sich der Körper hauptsächlich mit T-
Zellen gegen Viren wehrt, und nicht mit Antikörpern, und
dass wir einzig deswegen in der klinischen Praxis auf
Antikörper testen, weil das einfacher und billiger ist. Ich
habe außerdem die Hypothese gewagt, dass die Immunität
in der Bevölkerung viel höher ausgeprägt ist, als man sie
mit Antikörpern feststellen kann, weil viele Menschen ohne
Antikörper covidspezifische T-Zellen haben. Diese
Hypothese wird durch die aktuelle Forschung bestätigt.
Eine Studie, die beim Karolinska-Institut (an dem ich
studiert habe) gemacht wurde, hat sich das Vorhandensein
von Antikörper- und T-Zell-Immunität gegen Covid in der
Stockholmer Bevölkerung angeguckt [Sekine et al., Robust
T cell immunity …, Juni 2020]. Die Daten wurden im Mai
erhoben. Den ersten Covid-Sterbefall in Schweden gab es
Mitte März, so dass Covid zum Zeitpunkt der Studie schon
zwei Monate lang gewütet hatte.
Die Studie wartet noch auf ihre Veröffentlichung. Sie
wurde vom Karolinska-Institut, dem Schwedischen
Forschungsrat und einigen privaten Stiftungen finanziert.
Die Autoren berichten von keinen Interessenskonflikten.
Die Teilnehmer der Studie stammten aus fünf
verschiedenen Kohorten, insgesamt 200 Personen.
Die erste Kohorte bestand aus genesenen Patienten mit
einer milden Infektion. Die meisten von ihnen (78%) waren
nicht so krank geworden, dass sie in ein Krankenhaus
eingeliefert werden mussten. Die wenigen, mit denen dies
geschah, benötigten meistens nur einen Liter Sauerstoff.
Dies war die mild erkrankte und genesene Kohorte.
Die zweite Kohorte war die schwer erkrankte und genesene
Kohorte, die aus Patienten bestand, die so krank waren,
dass sie größere Mengen an Sauerstoff und/oder
mechanische Beatmung benötigten, aber wieder gesund
wurden.
Die dritte Kohorte bestand aus Familienmitgliedern von
Menschen aus der milde oder schwer erkrankten und
genesenen Gruppe. Für diese Gruppe musste eine Person
demselben Haushalt angehören wie das erkrankte
Familienmitglied, aber nicht selbst mit Covid-19
diagnostiziert worden sein. Dieses war die Kohorte der dem
Virus ausgesetzten Familienmitglieder.
Die vierte Kohorte bestand aus zufällig ausgewählten
Blutspendern, die im Mai 2020 Blut gespendet hatten. Und
die fünfte aus Blutspendern, die zwischen Juli und
September 2019 gespendet hatten. Die fünfte Kohorte war
eine Art Kontrollgruppe, da das Blut vor Beginn der
Pandemie gesammelt worden war.
Obwohl jede der Kohorten für meinen Geschmack ein
wenig klein ist, handelt es sich um eine interessante
Zusammenstellung, die das Potenzial hat, einige wichtige
Fragen zur Immunreaktion auf Covid und seiner
Verbreitung zu diesem Zeitpunkt in Stockholm zu
beantworten.
Und nun zum interessanten Teil, den Ergebnissen.
Beginnen wir mit den Blutspendern, die 2019 Blut
gespendet haben. Sie wurden nicht auf Antikörper getestet.
(Merkwürdig, ich hätte sie getestet, um einen
Ausgangspunkt für die Rate falschpositiver Werte zu
haben, aber es gab vielleicht einen technischen Grund,
warum das nicht möglich war.) Sie wurden jedoch auf
covidspezifische T-Zellen getestet. Es ist nicht
überraschend, dass niemand in der Gruppe T-Zellen hatte
(0 von 37).
Als nächstes gucken wir uns die Leute an, die von
schweren Erkrankungen genesen waren. Von diesen hatten
100% Antikörper und 100% hatten T-Zellen (23 von 23).
Das ergibt Sinn: Wer eine schwere Erkrankung hat, der hat
eine starke Immunreaktion.
Und nun schauen wir uns die Leute an, die von milden
Erkrankungen genesen waren. In dieser Gruppe hatten 87%
Antikörper (27 von 31), während 97% T-Zellen hatten (30
von 31). Auch das ergibt Sinn: Eine symptomatische
Erkrankung zeigt an, dass das Immunsystem bemerkt hat,
dass eine Infektion stattgefunden hat, so dass es Anzeichen
in Form von messbaren Antikörpern und/oder T-Zellen
gibt.
Nun können wir uns die dem Virus ausgesetzten
Familienmitglieder angucken. Dies war eine Gruppe von
Menschen, die keine Anzeichen einer symptomatischen
Erkrankung gezeigt haben. In dieser Gruppe hatten 60%
Antikörper (17 von 28), während 93% T-Zellen hatten (26
von 28)! Das ist einigermaßen erstaunlich und zeigt
zweierlei. Erstens, wer mit jemandem zusammengelebt hat,
der Covid hatte, der war mit großer Wahrscheinlichkeit
selber infiziert. Das ist auch dann der Fall, wenn es keine
Symptome gibt und selbst in diesem Fall wird die Person
höchstwahrscheinlich eine passende Immunantwort
entwickelt haben. Zweitens, diese Immunantwort
verursacht häufiger T-Zellen als Antikörper.
Zuletzt schauen wir uns die Blutspender aus dem Mai 2020
an. Es handelte sich um eine zufällige Auswahl, so dass wir
nicht wissen, wie viele eine symptomatische Erkrankung
hatten und wie viele vollkommen symptomlos zum
Zeitpunkt der Blutabnahme waren. In dieser Gruppe hatten
13% Antikörper gegen Covid (4 von 31) und 29% T-Zellen
(9 von 31). Das ist einigermaßen verwunderlich. Nun, die
Erhebung war klein und die Kohorte ebenso, so dass die
Konfidenzintervalle ziemlich weit sind. Trotzdem ist es
bemerkenswert, dass doppelt so viele dieser zufällig
ausgewählten Menschen T-Zellen aber keine Antikörper
haben.
Dazu kommt, dass dies im Mai war, nach zwei Monaten
Pandemie. Wenn 29% der Stockholmer Bevölkerung im
Mai T-Zellen gehabt hat, dann ist es vernünftig
anzunehmen, dass sich diese Zahl inzwischen, drei Monate
später, mindestens verdoppelt hat. Damit ergibt sich eine
sehr gute Erklärung dafür, warum die Covid-Sterberate in
Schweden so stark gefallen ist: Wir haben mittlerweile den
Punkt erreicht, wo wir Herdenimmunität haben. Dies ist
eine spekulative Schlussfolgerung, die aber Sinn ergibt.
Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es meines Wissens keine
Studien, die direkt zeigen, dass Antikörper bzw. T-Zellen
eine Immunität verschaffen. Trotzdem wissen wir aus der
Erfahrung mit ansteckenden Krankheiten im allgemeinen,
dass eine Antikörper- und/oder T-Zellen-Antwort
normalerweise bedeutet, dass man vor einer zukünftigen
Infektion geschützt ist. Mindestens für einige Zeit, häufig
ein Leben lang.
Die Studie hat ihre Schwächen. Das Hauptproblem ist ihre
geringe Größe. Es wäre von Vorteil, wenn eine ähnliche
größere Studie gemacht werden könnte, um die Resultate
zu bestätigen. Ein anderes Problem ist, dass die Studie noch
nicht durch das Begutachtungsverfahren gegangen ist. Sie
hat merklich raue Kanten. Der Text ist übermäßig technisch
und ziemlich unorganisiert. Die Graphen sind schwer zu
verstehen, wenn man nicht einige Zeit auf sie verwendet.
Des Weiteren scheint es einige Fehler im Text zu geben,
wie, dass die Zahl der Teilnehmer sich an verschiedenen
Stellen unterscheidet, ohne dass dafür eine Erklärung
geboten wird.
Trotzdem sind die Schlussfolgerungen aus der Studie sehr
bedeutsam.
Erstens. Die Tatsache, dass eine signifikant größere Zahl
von Teilnehmern T-Zellen statt Antikörper hat, bedeutet,
dass wir auf den Anteil covidspezifischer T-Zellen schauen
müssen, nicht auf den Anteil von Antikörpern, wenn wir
die wahre Immunitätsrate in der Bevölkerung wissen
wollen.
Zweitens. Wenn es stimmt, dass Schweden nunmehr die
Herdenimmunität erreicht hat, dann ist es wahrscheinlich,
dass andere Länder in den nächsten Monaten folgen
werden. Falls dann irgendwann im nächsten Jahr, mit
Glück, ein Impfstoff erscheint, dann wird es nicht mehr
viele Menschen geben, die ihn tatsächlich noch brauchen.
Fragen und Antworten
Ausgewählt aus dem Forum.
PCR-Test
Frage von David Bailey. Was ist deine Meinung zu diesen
PCR-Tests, die hier in Großbritannien Panik auslösen und
Leute zurück in teilweise Lockdowns schicken, weil sie
immer häufiger angewandt werden? Mir scheint, dass wenn
diese positiven Tests irgendetwas Wichtiges bedeuten,
dann müsste es eine steigende Zahl von Covid-19-Fällen
zur Behandlung in den Krankenhäusern geben. Soweit ich
verstehe, passiert das nicht. Ich wundere mich, ob diese
Tests nicht falsch positive Resultate ergeben. Gab es einen
Versuch, die falschpositive Rate zu prüfen?
Antwort von Sebastian Rushworth: Hi David! Soweit ich
die Literatur kenne, haben die Tests eine hohe falsch
negative Rate (weswegen wir Leute mit negativem
Ergebnis nochmal testen, wenn wir annehmen, dass Covid
wahrscheinlich ist), aber ziemlich wenig falsch positive.
Trotzdem gebe ich nicht viel auf das, was der PCR-Test auf
der gesellschaftlichen Ebene zeigt. Aus zwei Gründen.
Erstens bleiben Menschen nach einer Infektion bis zu zwei
Monate lang PCR-positiv, obwohl sie nicht mehr
ansteckend sind. Ein positiver PCR-Test ist häufig
Anzeichen einer alten Ansteckung, die vorbei ist. Zweitens
hängt die Menge von Covid, die man findet, von der
Testzahl ab, und die Testrate hat sich seit Beginn der
Pandemie in den verschiedenen Ländern stark verändert. Es
ist daher viel sinnvoller sich die Zahl der Verstorbenen
anzugucken, anstatt die Zahl der Infektionen, da diese Zahl
nicht von der Zahl der Tests abhängt und schwerer zu
manipulieren ist.
Langzeitfolgen
Frage von Punkarn: Es gibt also keine Langzeitfolgen für
die, die das Virus überleben? Das ist nicht das, was
berichtet wird.
Antwort von Sebastian Rushworth: Die übergroße Mehrheit
heilt ohne Folgen. Wenn man wirklich sehr krank wird und
Wochen in der Intensivstation am Beatmungsgerät
verbringt, dann gibt es eine große Zahl von Folgen, die man
haben kann und die zumeist davon herrühren, dass man
sich nicht bewegt (z.B. Muskelschwund,
Lungenentzündung, Lungenembolien), und dadurch, dass
Luft aktiv in die Lunge gepumpt, anstatt passiv eingesaugt
wird. Das sind die gleichen Folgen, die jeder, der einige
Zeit beatmet wird, erleben kann. Abgesehen davon wurde
von Gefäßkomplikationen berichtet, wie Kawasaki bei
Kindern und Herzinfarkt bei Erwachsenen, aber die sind
alle sehr selten.
Antikörper und T-Zellen Frage von bearbig70: Danke für
diese hoffnungsvolle Information. Hatte jeder, der
Antikörper hat, auch T-Zellen?
Antwort von Sebastian Rushworth: So wie ich die Studie
verstehe (und obwohl es nicht ausdrücklich im Text steht),
hat jeder mit einer Antikörper-Antwort auch eine T-
Zellantwort. Das ist auch logisch, denn T-Helferzellen
müssen aktiviert werden, bevor B-Zellen (die Antikörper
erzeugen) aktiviert werden.
Gasmaske
Frage von Mike C.: Ääh… ist das ein Witz? Das ist eine
militärische Gasmaske, keine medizinische PPE… Und sie
passt sehr schlecht, man sieht Lücken an den Seiten. (Auf
dem Bild zu "Wie schlimm ist Covid wirklich?" trägt der
Autor besagte militärische Gasmaske. AdÜ.)
Antwort von Sebastian Rushworth: Hi Mike. In vielen
schwedischen Krankenhäusern verwenden wir Gasmasken
statt N95-Masken. Ihr Vorteil ist, dass man sie
wiederverwenden kann, anstatt Hunderte von N95-Masken
zu verbrauchen. Ich habe dieselbe Gasmaske die ganze
Pandemie hindurch verwendet. Außerdem filtern
Gasmasken kleine Teilchen wie Viren sehr viel besser als
die N95. Das Foto wurde gemacht, als ich meine Gasmaske
bekommen und bevor ich gesehen habe, dass ich die
Plastikteile aus der Innenseite herausnehmen muss.
(Sebastian Rushworth)
Wie schlimm ist Covid wirklich?
13. August 2020
Sebastian Rushworth
Loading Image...
Sebastian Rushworth mit Gasmaske: "In vielen
schwedischen Krankenhäusern verwenden wir Gasmasken
statt N95-Masken."
Die Sicht eines schwedischen Arztes auf Covid-19
Ich bin praktizierender Arzt in Stockholm. Jeden Tag
stellen mir Patienten Fragen zu Gesundheit, Diäten,
Bewegung, Ergänzungsstoffen, Medikation. Es gibt sehr
viel Fehlinformation im Internet, es ist leicht, den falschen
Rat zu erhalten, und schwer zu sagen, was richtig und was
falsch ist, wenn man nicht vertiefte wissenschaftliche
Kenntnisse hat. Die Aufgabe meines Blogs
Wissenschaftlich fundierte Informationen zu Gesundheit
und Medizin (Health and medical information grounded in
science) ist es, mitzuteilen, was die Wissenschaft wirklich
sagt.
Ulf Martin hat die beiden Artikel von Sebastion Rushorth
"Wie schlimm ist Covid wirklich?" vom 4. August und
"Wie bestimmt man Covid-Immunität am besten? vom 8.
August zusammengefasst und übersetzt. Telepolis
veröffentlicht den Beitrag, um zu einer vorurteilsfreien
Diskussion beizutragen.
Wie schlimm ist Covid wirklich?
Ich schicke voraus, dass ich als Bürger in Schweden lebe,
dass das Folgende rein anekdotisch ist und auf meiner
Erfahrung als Arzt in der Notfallaufnahme eines großen
Krankenhauses in Stockholm beruht. Wie viele Leser
wissen, nimmt Schweden von allen Ländern vielleicht die
entspannteste Haltung zur Covid-Pandemie ein. Im
Gegensatz zu anderen Ländern ging Schweden nie in einen
vollständigen Lockdown. Nichtlebenswichtige Geschäfte
blieben geöffnet, die Leute sind weiter in Cafés und
Restaurants gegangen, die Kinder weiter zur Schule, und
nur sehr wenig Leute haben sich in der Öffentlichkeit mit
Gesichtsmasken rumgeärgert.
Covid hat Stockholm Mitte März wie ein Sturm erwischt.
An einem Tag habe ich Leute mit Blinddarmentzündung
und Nierensteinen gesehen, die üblichen Fälle in einer
Notaufnahme. Am nächsten Tag waren alle diese Patienten
verschwunden und die einzigen, die ins Krankenhaus
kamen, hatten Covid. Praktisch jeder, der getestet wurde,
hatte Covid, egal was für ein Symptom sichtbar war.
Jemand kam mit Nasenbluten und hatte Covid. Ein anderer
kam mit Bauchschmerzen und hatte Covid.
Dann, nach einigen Monaten, waren all die Covidpatienten
verschwunden. Jetzt sind es vier Monate nach dem Beginn
der Pandemie und ich habe seit einem Monat nicht einen
einzigen Covidpatienten mehr gesehen. Wenn ich
jemanden teste, weil er hustet oder Fieber hat, dann kommt
der Test immer negativ zurück.
Auf dem Höhepunkt vor drei Monaten starben am Tag
hundert Menschen an Covid, in einem Land mit zehn
Millionen Einwohnern. Wir sind nun bei ungefähr fünf
Verstorbenen am Tag im ganzen Land und diese Zahl fällt
weiter. Weil Menschen im allgemeinen drei Wochen nach
einer Ansteckung versterben, bedeutet das, dass praktisch
niemand mehr angesteckt wird. Wenn wir annehmen, dass
ungefähr 0,5 Prozent der Angesteckten sterben (eine sehr
großzügige Annahme, mehr dazu unten), dann heißt das,
dass vor drei Wochen tausend Menschen angesteckt
wurden, einer von zehntausend, eine verschwindend
geringe Zahl. Man bedenke, das Risiko zu sterben, beträgt
1 zu 200, wenn man wirklich angesteckt wird. Und das war
vor drei Wochen. Im Wesentlichen ist es mit Covid in
Schweden aus und vorbei. Nach vier Monaten.
Insgesamt hat Covid weniger als 6000 Menschenleben
gekostet, in einem Land mit zehn Millionen Einwohnern,
einem Land, in dem jährlich 100.000 Menschen sterben.
Bedenkt man, dass 70% der an Covid Verstorbenen über 80
Jahre alt waren, dann wären viele der 6000 in diesem Jahr
sowieso gestorben. Das macht Covid zu einer kleinen
Beule in seinem Effekt auf die Jahressterblichkeit.
Aus diesem Grund ist es unsinnig Covid mit anderen
großen Pandemien wie der Spanischen Grippe von 1918 zu
vergleichen. Damals starben mehrere zehn Millionen
Menschen. Covid wird nie auch nur in die Nähe solcher
Zahlen kommen. Und dennoch haben Länder ihre gesamte
Wirtschaft heruntergefahren, die Kinder nicht mehr in die
Schule geschickt und einen großen Anteil der Bevölkerung
arbeitslos gemacht, um mit dieser Pandemie umzugehen.
Die Medien haben verlautbart, dass nur ein geringer
Prozentsatz der Bevölkerung Antikörper habe und es daher
unmöglich sei, dass sich Herdenimmunität entwickelt habe.
Nun, wenn sich keine Herdenimmunität entwickelt hat, wo
sind dann all die kranken Menschen? Warum ist die
Ansteckungsrate so steil nach unten gegangen? In
Anbetracht der Tatsache, dass die meisten Leute in
Schweden inzwischen wieder normal leben, kein Social-
Distancing praktizieren, keine Masken tragen, müsste es
immer noch hohe Ansteckungsraten geben.
Wir machen Antikörpertests, weil es einfach und günstig
ist. Antikörper sind allerdings nicht die Hauptabwehr des
Körpers gegen Virusinfektionen. Das sind die T-Zellen.
Jedoch sind T-Zellen schwieriger zu messen als Antikörper,
weswegen wir das klinisch selten machen. Es ist ziemlich
gut möglich, T-Zellen zu haben, die spezifisch für Covid
sind und einen daher immun machen, ohne dass man
Antikörper hat. Persönlich denke ich, ist es das, was
passiert ist.
Jeder, der in meiner Notfallaufnahme hier arbeitet, hat
einen Antikörpertest gemacht. Sehr wenige haben
tatsächlich Antikörper, obwohl wir einer riesigen Zahl von
Infizierten ausgesetzt waren. Und am Anfang der Pandemie
trug noch niemand Schutzausrüstung, bevor wir bemerkt
haben, wie verbreitet Covid ist.
Ich bestreite nicht, dass Covid schlimm für diejenigen ist,
die schwer daran erkranken, oder für die Familien der
Verstorbenen. Genauso, wie es schlimm ist für Familien
von an Krebs, Influenza oder Rauschgiftüberdosis
Verstorbenen. Aber die Größe der Reaktion in den meisten
Gegenden der Welt außerhalb von Schweden steht in einem
totalen Missverhältnis zur Größe der Gefahr.
Schweden hat, metaphorisch gesprochen, das Heftpflaster
schnell abgerissen und ist mit der Pandemie in kurzer Zeit
fertig geworden, während der Rest der Welt sich
entschieden hat, das Heftpflaster langsam wegzupulen.
Gegenwärtig heißt das, dass Schweden eine der höchsten
Sterblichkeitsraten der Welt hat. Aber Covid ist in
Schweden vorbei. Die Leute sind zu ihrem normalen Leben
zurückgekehrt und kaum noch jemand wird angesteckt.
Ich bin bereit zu wetten, dass Länder, die einen
vollständigen Shutdown gemacht haben, sehen werden,
dass die Sterberaten hochschießen, wenn sie wieder
aufmachen. Wenn das der Fall ist, dann ergibt es keinen
Sinn, einen Shutdown zu machen, weil man am Ende mit
derselben Zahl von Verstorbenen dasteht. Der vollständige
Shutdown ergibt nur Sinn, wenn man bereit ist, diesen
beizubehalten, bis ein Impfstoff verfügbar ist. Das kann
Jahre dauern. Kein Land ist bereit, so lange zu warten.
Covid hat gegenwärtig weniger als 6000 Opfer gekostet. Es
ist sehr unwahrscheinlich, dass die Zahl über 7000
ansteigen wird. In einem durchschnittlichen Influenzajahr
sterben in Schweden 700 Menschen an ihr. Heißt das,
Covid ist zehnmal schlimmer als Influenza? Nein, denn
Influenza gibt es seit Jahrhunderten, Covid ist vollkommen
neu. In einem durchschnittlichen Influenzajahr haben die
meisten Menschen schon eine gewisse Immunität, weil sie
früher schon mal mit einem ähnlichen Stamm angesteckt
oder weil sie geimpft waren. Es ist daher ohne weiteres
möglich, sogar wahrscheinlich, dass die Fallsterblichkeit
von Covid die gleiche wie für Influenza ist, oder ein wenig
höher, und dass der Unterschied, den wir sehen, auf das
vollständige Fehlen einer Immunität in der Bevölkerung am
Beginn der Pandemie zurückgeht.
Diese Schlussfolgerung erklärt die schwedische
Sterblichkeitsziffer. Wenn wir den Punkt erreicht haben,
bei dem es praktisch keine aktive Infektion mehr in
Schweden gibt, obwohl praktisch kein Social-Distancing
mehr stattfindet, dann haben sich wenigstens 50% der
Bevölkerung schon angesteckt und eine Immunität
entwickelt, fünf Millionen Menschen. Das ist ein plausibler
Wert, wenn wir annehmen, dass die Reproduktionszahl für
das Virus zwei ist: Wenn jeder Infizierte zwei ansteckt,
zwischen den Ansteckungen fünf Tage liegen und wir mit
einem Infizierten im Land beginnen, dann erreicht man
mehrere Millionen in nur vier Monaten. Wenn nur 6000
von fünf Millionen verstorben sind, dann ergibt das eine
Infektionssterblichkeit von 0,12%, in etwa dieselbe wie bei
der normalen Influenza, vor der niemand auch nur ein
bisschen Angst hat, geschweige denn, dass wir unsere
Gesellschaft deswegen lahm legen.
Wie bestimmt man Covid-Immunität am besten?
In "Wie schlimm ist Covid wirklich?" habe ich
geschrieben, dass sich der Körper hauptsächlich mit T-
Zellen gegen Viren wehrt, und nicht mit Antikörpern, und
dass wir einzig deswegen in der klinischen Praxis auf
Antikörper testen, weil das einfacher und billiger ist. Ich
habe außerdem die Hypothese gewagt, dass die Immunität
in der Bevölkerung viel höher ausgeprägt ist, als man sie
mit Antikörpern feststellen kann, weil viele Menschen ohne
Antikörper covidspezifische T-Zellen haben. Diese
Hypothese wird durch die aktuelle Forschung bestätigt.
Eine Studie, die beim Karolinska-Institut (an dem ich
studiert habe) gemacht wurde, hat sich das Vorhandensein
von Antikörper- und T-Zell-Immunität gegen Covid in der
Stockholmer Bevölkerung angeguckt [Sekine et al., Robust
T cell immunity …, Juni 2020]. Die Daten wurden im Mai
erhoben. Den ersten Covid-Sterbefall in Schweden gab es
Mitte März, so dass Covid zum Zeitpunkt der Studie schon
zwei Monate lang gewütet hatte.
Die Studie wartet noch auf ihre Veröffentlichung. Sie
wurde vom Karolinska-Institut, dem Schwedischen
Forschungsrat und einigen privaten Stiftungen finanziert.
Die Autoren berichten von keinen Interessenskonflikten.
Die Teilnehmer der Studie stammten aus fünf
verschiedenen Kohorten, insgesamt 200 Personen.
Die erste Kohorte bestand aus genesenen Patienten mit
einer milden Infektion. Die meisten von ihnen (78%) waren
nicht so krank geworden, dass sie in ein Krankenhaus
eingeliefert werden mussten. Die wenigen, mit denen dies
geschah, benötigten meistens nur einen Liter Sauerstoff.
Dies war die mild erkrankte und genesene Kohorte.
Die zweite Kohorte war die schwer erkrankte und genesene
Kohorte, die aus Patienten bestand, die so krank waren,
dass sie größere Mengen an Sauerstoff und/oder
mechanische Beatmung benötigten, aber wieder gesund
wurden.
Die dritte Kohorte bestand aus Familienmitgliedern von
Menschen aus der milde oder schwer erkrankten und
genesenen Gruppe. Für diese Gruppe musste eine Person
demselben Haushalt angehören wie das erkrankte
Familienmitglied, aber nicht selbst mit Covid-19
diagnostiziert worden sein. Dieses war die Kohorte der dem
Virus ausgesetzten Familienmitglieder.
Die vierte Kohorte bestand aus zufällig ausgewählten
Blutspendern, die im Mai 2020 Blut gespendet hatten. Und
die fünfte aus Blutspendern, die zwischen Juli und
September 2019 gespendet hatten. Die fünfte Kohorte war
eine Art Kontrollgruppe, da das Blut vor Beginn der
Pandemie gesammelt worden war.
Obwohl jede der Kohorten für meinen Geschmack ein
wenig klein ist, handelt es sich um eine interessante
Zusammenstellung, die das Potenzial hat, einige wichtige
Fragen zur Immunreaktion auf Covid und seiner
Verbreitung zu diesem Zeitpunkt in Stockholm zu
beantworten.
Und nun zum interessanten Teil, den Ergebnissen.
Beginnen wir mit den Blutspendern, die 2019 Blut
gespendet haben. Sie wurden nicht auf Antikörper getestet.
(Merkwürdig, ich hätte sie getestet, um einen
Ausgangspunkt für die Rate falschpositiver Werte zu
haben, aber es gab vielleicht einen technischen Grund,
warum das nicht möglich war.) Sie wurden jedoch auf
covidspezifische T-Zellen getestet. Es ist nicht
überraschend, dass niemand in der Gruppe T-Zellen hatte
(0 von 37).
Als nächstes gucken wir uns die Leute an, die von
schweren Erkrankungen genesen waren. Von diesen hatten
100% Antikörper und 100% hatten T-Zellen (23 von 23).
Das ergibt Sinn: Wer eine schwere Erkrankung hat, der hat
eine starke Immunreaktion.
Und nun schauen wir uns die Leute an, die von milden
Erkrankungen genesen waren. In dieser Gruppe hatten 87%
Antikörper (27 von 31), während 97% T-Zellen hatten (30
von 31). Auch das ergibt Sinn: Eine symptomatische
Erkrankung zeigt an, dass das Immunsystem bemerkt hat,
dass eine Infektion stattgefunden hat, so dass es Anzeichen
in Form von messbaren Antikörpern und/oder T-Zellen
gibt.
Nun können wir uns die dem Virus ausgesetzten
Familienmitglieder angucken. Dies war eine Gruppe von
Menschen, die keine Anzeichen einer symptomatischen
Erkrankung gezeigt haben. In dieser Gruppe hatten 60%
Antikörper (17 von 28), während 93% T-Zellen hatten (26
von 28)! Das ist einigermaßen erstaunlich und zeigt
zweierlei. Erstens, wer mit jemandem zusammengelebt hat,
der Covid hatte, der war mit großer Wahrscheinlichkeit
selber infiziert. Das ist auch dann der Fall, wenn es keine
Symptome gibt und selbst in diesem Fall wird die Person
höchstwahrscheinlich eine passende Immunantwort
entwickelt haben. Zweitens, diese Immunantwort
verursacht häufiger T-Zellen als Antikörper.
Zuletzt schauen wir uns die Blutspender aus dem Mai 2020
an. Es handelte sich um eine zufällige Auswahl, so dass wir
nicht wissen, wie viele eine symptomatische Erkrankung
hatten und wie viele vollkommen symptomlos zum
Zeitpunkt der Blutabnahme waren. In dieser Gruppe hatten
13% Antikörper gegen Covid (4 von 31) und 29% T-Zellen
(9 von 31). Das ist einigermaßen verwunderlich. Nun, die
Erhebung war klein und die Kohorte ebenso, so dass die
Konfidenzintervalle ziemlich weit sind. Trotzdem ist es
bemerkenswert, dass doppelt so viele dieser zufällig
ausgewählten Menschen T-Zellen aber keine Antikörper
haben.
Dazu kommt, dass dies im Mai war, nach zwei Monaten
Pandemie. Wenn 29% der Stockholmer Bevölkerung im
Mai T-Zellen gehabt hat, dann ist es vernünftig
anzunehmen, dass sich diese Zahl inzwischen, drei Monate
später, mindestens verdoppelt hat. Damit ergibt sich eine
sehr gute Erklärung dafür, warum die Covid-Sterberate in
Schweden so stark gefallen ist: Wir haben mittlerweile den
Punkt erreicht, wo wir Herdenimmunität haben. Dies ist
eine spekulative Schlussfolgerung, die aber Sinn ergibt.
Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es meines Wissens keine
Studien, die direkt zeigen, dass Antikörper bzw. T-Zellen
eine Immunität verschaffen. Trotzdem wissen wir aus der
Erfahrung mit ansteckenden Krankheiten im allgemeinen,
dass eine Antikörper- und/oder T-Zellen-Antwort
normalerweise bedeutet, dass man vor einer zukünftigen
Infektion geschützt ist. Mindestens für einige Zeit, häufig
ein Leben lang.
Die Studie hat ihre Schwächen. Das Hauptproblem ist ihre
geringe Größe. Es wäre von Vorteil, wenn eine ähnliche
größere Studie gemacht werden könnte, um die Resultate
zu bestätigen. Ein anderes Problem ist, dass die Studie noch
nicht durch das Begutachtungsverfahren gegangen ist. Sie
hat merklich raue Kanten. Der Text ist übermäßig technisch
und ziemlich unorganisiert. Die Graphen sind schwer zu
verstehen, wenn man nicht einige Zeit auf sie verwendet.
Des Weiteren scheint es einige Fehler im Text zu geben,
wie, dass die Zahl der Teilnehmer sich an verschiedenen
Stellen unterscheidet, ohne dass dafür eine Erklärung
geboten wird.
Trotzdem sind die Schlussfolgerungen aus der Studie sehr
bedeutsam.
Erstens. Die Tatsache, dass eine signifikant größere Zahl
von Teilnehmern T-Zellen statt Antikörper hat, bedeutet,
dass wir auf den Anteil covidspezifischer T-Zellen schauen
müssen, nicht auf den Anteil von Antikörpern, wenn wir
die wahre Immunitätsrate in der Bevölkerung wissen
wollen.
Zweitens. Wenn es stimmt, dass Schweden nunmehr die
Herdenimmunität erreicht hat, dann ist es wahrscheinlich,
dass andere Länder in den nächsten Monaten folgen
werden. Falls dann irgendwann im nächsten Jahr, mit
Glück, ein Impfstoff erscheint, dann wird es nicht mehr
viele Menschen geben, die ihn tatsächlich noch brauchen.
Fragen und Antworten
Ausgewählt aus dem Forum.
PCR-Test
Frage von David Bailey. Was ist deine Meinung zu diesen
PCR-Tests, die hier in Großbritannien Panik auslösen und
Leute zurück in teilweise Lockdowns schicken, weil sie
immer häufiger angewandt werden? Mir scheint, dass wenn
diese positiven Tests irgendetwas Wichtiges bedeuten,
dann müsste es eine steigende Zahl von Covid-19-Fällen
zur Behandlung in den Krankenhäusern geben. Soweit ich
verstehe, passiert das nicht. Ich wundere mich, ob diese
Tests nicht falsch positive Resultate ergeben. Gab es einen
Versuch, die falschpositive Rate zu prüfen?
Antwort von Sebastian Rushworth: Hi David! Soweit ich
die Literatur kenne, haben die Tests eine hohe falsch
negative Rate (weswegen wir Leute mit negativem
Ergebnis nochmal testen, wenn wir annehmen, dass Covid
wahrscheinlich ist), aber ziemlich wenig falsch positive.
Trotzdem gebe ich nicht viel auf das, was der PCR-Test auf
der gesellschaftlichen Ebene zeigt. Aus zwei Gründen.
Erstens bleiben Menschen nach einer Infektion bis zu zwei
Monate lang PCR-positiv, obwohl sie nicht mehr
ansteckend sind. Ein positiver PCR-Test ist häufig
Anzeichen einer alten Ansteckung, die vorbei ist. Zweitens
hängt die Menge von Covid, die man findet, von der
Testzahl ab, und die Testrate hat sich seit Beginn der
Pandemie in den verschiedenen Ländern stark verändert. Es
ist daher viel sinnvoller sich die Zahl der Verstorbenen
anzugucken, anstatt die Zahl der Infektionen, da diese Zahl
nicht von der Zahl der Tests abhängt und schwerer zu
manipulieren ist.
Langzeitfolgen
Frage von Punkarn: Es gibt also keine Langzeitfolgen für
die, die das Virus überleben? Das ist nicht das, was
berichtet wird.
Antwort von Sebastian Rushworth: Die übergroße Mehrheit
heilt ohne Folgen. Wenn man wirklich sehr krank wird und
Wochen in der Intensivstation am Beatmungsgerät
verbringt, dann gibt es eine große Zahl von Folgen, die man
haben kann und die zumeist davon herrühren, dass man
sich nicht bewegt (z.B. Muskelschwund,
Lungenentzündung, Lungenembolien), und dadurch, dass
Luft aktiv in die Lunge gepumpt, anstatt passiv eingesaugt
wird. Das sind die gleichen Folgen, die jeder, der einige
Zeit beatmet wird, erleben kann. Abgesehen davon wurde
von Gefäßkomplikationen berichtet, wie Kawasaki bei
Kindern und Herzinfarkt bei Erwachsenen, aber die sind
alle sehr selten.
Antikörper und T-Zellen Frage von bearbig70: Danke für
diese hoffnungsvolle Information. Hatte jeder, der
Antikörper hat, auch T-Zellen?
Antwort von Sebastian Rushworth: So wie ich die Studie
verstehe (und obwohl es nicht ausdrücklich im Text steht),
hat jeder mit einer Antikörper-Antwort auch eine T-
Zellantwort. Das ist auch logisch, denn T-Helferzellen
müssen aktiviert werden, bevor B-Zellen (die Antikörper
erzeugen) aktiviert werden.
Gasmaske
Frage von Mike C.: Ääh… ist das ein Witz? Das ist eine
militärische Gasmaske, keine medizinische PPE… Und sie
passt sehr schlecht, man sieht Lücken an den Seiten. (Auf
dem Bild zu "Wie schlimm ist Covid wirklich?" trägt der
Autor besagte militärische Gasmaske. AdÜ.)
Antwort von Sebastian Rushworth: Hi Mike. In vielen
schwedischen Krankenhäusern verwenden wir Gasmasken
statt N95-Masken. Ihr Vorteil ist, dass man sie
wiederverwenden kann, anstatt Hunderte von N95-Masken
zu verbrauchen. Ich habe dieselbe Gasmaske die ganze
Pandemie hindurch verwendet. Außerdem filtern
Gasmasken kleine Teilchen wie Viren sehr viel besser als
die N95. Das Foto wurde gemacht, als ich meine Gasmaske
bekommen und bevor ich gesehen habe, dass ich die
Plastikteile aus der Innenseite herausnehmen muss.
(Sebastian Rushworth)